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Der große Putsch findet am 21. April statt
von Gerhard Dilger
18.03.13     A+ | a-
P a’í Oliva, ist der Wahlsieg der Colorado-Partei in Paraguay überhaupt noch zu verhindern?
Ich verliere die Hoffnung nicht, aber die Wahl ist praktisch verloren. Die Rückkehr der Colorados an die Macht steht unmittelbar bevor. Sie werden sich festklammern, sie sind sehr gut organisiert. Wir wissen nicht, ob sie zehn oder zwanzig Jahre dranbleiben werden, mit allen möglichen Tricks. Mit ihnen wird Paraguay im weltweiten Vergleich noch weiter zurückfallen. Die Regierung dieser Herren wird vollkommen vertikal, von oben nach unten, vollkommen rechts sein, mit viel Vetternwirtschaft. Sie verkaufen und kaufen alles, sie versorgen ihre Leute mit staatlichen Posten, dabei gibt es ja schon jetzt zu viele Staatsangestellte, das wird nun weiter gefestigt. Mein Eindruck ist, dass der Putsch genau dafür konzipiert war, er war ein Meisterstück. Das Massaker von Curuguatý (bei dem elf Bauern und sechs Polizisten starben, GD) wurde dafür inszeniert, glaube ich. Aber jeden Tag gibt es neue Entdeckungen, zum Beispiel ein Video mit einem kreisenden Hubschrauber und Stimmen von Bauern und Polizisten, die bitten, dass nicht auf sie geschossen wird. Bislang war ja von Scharfschützen die Rede, die in der Menge waren, und jetzt das. Es war ein einziger Vorwand für den Putsch. Dann kamen der Putsch, der Schnellprozess im Parlament, die Spaltung. Dafür gibt es zwei Gründe, zum einen die Schwäche Fernando Lugos, zum anderen das Geld von Horacio Cartes (dem Colorado-Präsidentschaftskandidaten, GD). Nach ein, zwei Monaten haben wir gemerkt, dass er die linke Gruppe P-MAS gekauft hat. Die haben alles ausgeheckt und versaut, vier Monate lang haben vier ihrer Leute um vier vordere Plätze auf der Senatsliste gestritten – völlig absurd. Vier Monate lang haben wir die Beteiligten auf beiden Seiten beschworen, sich zu einigen, aber die Einheit kam nicht, nur gegenseitige Schuldzuweisungen. An einem Punkt hätten wir es fast geschafft, da kamen Lugo und Mario Ferreiro (Journalist und linker Präsidentschaftskandidat mit den höchsten Wahlchancen, GD) mit jeweils zwei Leuten, und wir sagten, entweder ihr einigt euch oder wir erzählen alles, was wir wissen. Am folgenden Tag wurde Aníbal Carrillo, der Vorsitzende seiner Gruppe, von Lugo zum Präsidentschaftskandidaten ernannt. Damit hat er die Lücke geschlossen, die es noch zum Verhandeln gab – so gab es zum Beispiel den Vorschlag, Lugo und Ferreiro sollten für die Parlamentslisten gute Leute im linken Umfeld suchen statt der Unerwünschten, die jetzt da drauf sind. Camilo Suárez von der P-MAS will doch nur ins Parlament, damit er vor der Justiz sicher ist (es gibt massive Korruptionsvorwürfe aus seiner Zeit als Minister, GD). Nach Curuguatý, dem Putsch, der Spaltung wird nun der große Putsch am 21. April stattfinden.

Wie stehen denn die Chancen auf eine Einigung der Linken nach der Wahl?
Schlecht. Diese Politiker haben sich ja bereits innerhalb des Colorado-Systems positioniert. Sie klammern sich an ihre Machtpositionen, sie lassen einfach nicht los.

Was war der größte Erfolg der fast vierjährigen Amtszeit Lugos?
Es gibt einen ganz generellen Fortschritt: Lugo hatte Angst vor der Rechten, doch in dem Maße, wie er den Ärmsten half, wurden ihnen die Augen geöffnet. Zum ersten Mal bekamen sie kostenlose Gesundheitsversorgung, Zugang zu ein bisschen Bildung und zu Sozialprogrammen wie in Brasilien. Es waren viele kleine Dinge, aber das Wichtigste war: Er hat das Tor aufgestoßen. Wenn sie ihn gelassen hätten, hätte er die kommende Wahl wahrscheinlich gewonnen. Das war die große Furcht der Sojapflanzer. Viele Leute haben jetzt ein größeres Bewusstsein, auch wegen des Putsches.

Aber das reicht nicht, um den Sieg der Colorados zu verhindern?

Ich kann mir eigentlich nur eine Lösung wie in der griechischen Tragödie vorstellen, mit einem Deus ex Machina… Oder es gäbe noch die Lösung, dass die Leute an der Wahlurne ganz bewusst all diese Herren bestrafen und zum Beispiel für Mario Ferreiro stimmen. In den Fernsehdebatten war er der einzige, der die Dinge beim Namen genannt hat. Und noch eine Möglichkeit wäre denkbar: Wenn etwas Schlimmes passiert, das die Leute schockiert… Zum Beispiel, wenn einer der Hungerstreikenden (inhaftierten Kleinbauern, GD) sterben würde.

Wie ist denn die Rolle der Staatengemeinschaft angesichts der Wahlen?
Alles deutet ja darauf hin, dass Paraguay anschließend wieder in den Mercosur und in Unasur aufgenommen wird.
Ja. Die Rolle der Wahlbeobachter ist dubios. Einige sind jetzt schon da, doch für sie sind die Wahlen nur eine technische Frage, ob mit den Listen, den Wahllokalen, den Fernsehinterviews alles stimmt. Um Stimmenkauf kümmern die sich nicht, das sei eine politische Frage, sagen sie.

Welche Auswirkungen hatte der südamerikanische Linksruck der letzten 15 Jahre auf Paraguay?

Nun, das ist kompliziert. Die Bevölkerung (Paraguays – die Red.) hat davon aus kulturellen Gründen ziemlich wenig mitbekommen. Schon während des Unabhängigkeitskrieges vor 200 Jahren, als zumindest in Spanisch-Amerika viel von Einheit und Großem Vaterland die Rede war, kam nur einer der Befreier kurz nach Paraguay, José Felix Bogado. Das war wegen José Gaspar Rodríguez de Francia der Fall, der das Land abriegelte, damals wollte Argentinien Paraguay absorbieren. In Argentinien lernt man an der Schule viel über San Martín und Belgrano und ihre kontinentalen Unternehmungen, hier dagegen fehlt dieses Gefühl des Großen Vaterlandes. Und dann gibt es in Paraguay ziemlich wenige Linke, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Während der Regierung Lugo wurde das stärker, viele haben dazugelernt, aber das ist ein kaum sichtbarer Prozess. Diese Leute könnten der Rechten bei den Wahlen einen Schrecken einjagen, aber viele habe das nur halb kapiert und auf diesem Gebiet hat Lugo viel versäumt. Was mich erschreckt, ist die geringe Beteiligung bei den Mobilisierungen. Kurz vor dem Putsch haben 10 000 Demonstranten verhindert, dass 50 Millionen Dollar Wahlkampfgelder ausgeschüttet wurden, aber danach wurden es immer weniger... Die Menschen lassen sich einfach zu viel gefallen.

Das ist ja ganz ähnlich wie in Brasilien.

Ja, Brasilien ist auch teilweise durch die Guaraní-Kultur geprägt, ich glaube, damit hängt das zusammen. Die Guaraní waren keine besonders tapferen Krieger und es muss schon sehr viel passieren, bis sich die Paraguayer richtig aufregen. Lassen Sie uns zum Schluss noch ein bisschen über den Papst reden.

Sie kennen ihn ja aus den frühen 70er-Jahren, nachdem Sie vom Stroessner-Regime aus Paraguay ausgewiesen worden waren.
Ja, ich habe neun Jahre in Argentinien gelebt, und sechs davon war Jorge Bergoglio mein Jesuiten-Provinzial. Es ist ein guter Mann. Ich vergleiche ihn gerne mit Óscar Romero aus San Salvador. Monseñor Romero hat ebenfalls als ganz Rechter angefangen. Ich habe mit ihm die vier Jahre vor der Diktatur und zwei Jahre danach zusammengearbeitet. Ich glaube, die Diktatur hat ihn sehr zum Nachdenken gebracht und hat ihn allmählich voranschreiten lassen. Soweit wie Romero ist er allerdings noch nicht.

Ist das überhaupt denkbar?
Wenn die Kurie, das Kabinett des Vatikans, ihn nicht verschlingt. Er muss jetzt klare Schritte unternehmen, um die Kurie zu reformieren; wenn er das schafft, würde es mir schon reichen. Er müsste richtig aufräumen, da gibt es viele Rückwärtsgewandte, die ihresgleichen holen und ausbilden, es ist schrecklich. Diese Leute werfen uns von weitem Knüppel zwischen die Beine und den Papst halten sie wie in einem Käfig.

Nun, in Argentinien hat er sich zuletzt mit den Kirchners angelegt…

Während sich argentinische Menschenrechtsgruppen wie die Madres de la Plaza de Mayo oder das Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) sehr kritisch zur Wahl Jorge Bergoglios zum Papst geäußert haben, wurde sie von Befreiungstheologen wie Leonardo Boff, dem aus Österreich stammenden brasilianischen Bischof Erwin Kräutler oder Pa’í Oliva (siehe nebenstehendes Interview) begrüßt. Diese gegensätzlichen Stellungnahmen überraschen zunächst, denn auch die genannten Theologen sind seit Jahrzehnten engagierte Kämpfer für politische und soziale Menschenrechte. Berücksichtigt man jedoch den jeweiligen Rahmen, in dem die Organisationen und Personen agieren, klärt sich der vermeintliche Widerspruch.
 
Die Menschenrechtsgruppen wurden während der argentinischen Militärdiktatur meist von Angehörigen der Opfer des Staatsterrorismus gegründet, um sich bei der Suche nach ihren verschleppten Kindern, Männern und Frauen zu unterstützen. Seit dem Ende der Diktatur kämpfen sie für Wahrheit und Gerechtigkeit. Das heißt für die Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen sowie die juristische Verfolgung der Verantwortlichen der Diktatur und der Institutionen und Unternehmen, die sie unterstützt und von ihr profitiert haben. Dazu gehörten auch große Teile der Katholischen Kirche. Wenn sich die Menschenrechtsgruppen also heute zu Jorge Bergoglio äußern, beziehen sie sich auf seine – vorsichtig ausgedrückt – unklare Haltung während der Diktatur und seine klare Haltung danach. Letztere bestand nämlich darin, eine Aufarbeitung der Rolle der Kirche in der Diktatur zu vermeiden und die Kleriker zu schützen, die die Repression aktiv unterstützt haben. Dass Menschenrechtsorganisationen die Wahl Bergoglios kritisch sehen, kann daher kaum überraschen. Dagegen agieren die Befreiungstheologen weiterhin in der Institution Kirche. Nach dem politisch-theologischen Aufbruch mit der Bischofskonferenz von Medellín im Jahr 1968 erlebten sie, dass die Befreiungstheologie und die „Option für die Armen“ spätestens mit der Wahl Karol Wojtilas zum Papst 1978 und der Ernennung Josef Ratzingers zum Präfekten der Glaubenskongregation 1981 und seiner späteren Wahl zum Nachfolger Wojtilas  systematisch zurückgedrängt wurden, ideologisch in entsprechenden Verlautbarungen, aber vor allem durch die vatikanische Personalpolitik, die schlicht darin bestand, einen fortschrittlichen Bischof, der aus Altersgründen sein Amt aufgab, durch einen konservativen Nachfolger zu ersetzen – zumindest überall dort, wo das möglich war. Darauf folgte dann stets die Säuberung der theologischen Ausbildungsstätten. Das führte letztlich dazu, dass die Befreiungstheologie weitgehend marginalisiert wurde. Die verbliebenen Befreiungstheologen hoffen nun, dass nach Karol Wojtila und Josef Ratzinger, für die die soziale Frage kein Thema war, ihr der neue Papst mehr Bedeutung zumisst, Dafür gibt es einige Hinweise. Das könnte der Befreiungstheologie neue Räume eröffnen, auch wenn Bergoglio selbst bisher wenig Sympathien für sie gezeigt hat. Ja, in Sachen Homoehe, was wirklich nicht die zentrale Frage ist. Auf anderen Gebieten ist er weiter gekommen, aber noch nicht weit genug. Im Vatikan muss er sich aber wirklich beeilen!

Und wie hat er sich nun im Fall der zwei verhafteten, fünf Monate lang festgehaltenen und gefolterten Jesuiten verhalten?
Die beiden, Francisco Jalics und Orlando Yorio, waren meine Freunde. Sie waren sehr fortschrittliche Priester und Bergoglio hat sie nicht verstanden. Er hat sie aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen, was unter diesen Umständen einem Todesurteil gleichkam.

Das muss er doch gewusst haben, oder?
Nun, mir ist etwas Ähnliches passiert, aber darüber will ich nicht reden. Ich habe mich wie eine Katze mit dem Bauch nach oben verteidigt und nein gesagt und er hat es einfach nicht mitbekommen. Er war nicht auf der Höhe der Zeit.

Warum redet er auch Jahrzehnte später nicht darüber, etwa in seiner autorisierten Biografie, und lässt die Anschuldigungen durch seinen Sprecher als Attacken einer angeblich antiklerikalen Linken zurückweisen?
Immer wenn Jalics nach Argentinien kommt, feiert er zusammen mit Bergoglio den Gottesdienst. In seiner ersten Erklärung nach der Papstwahl hat Jalics erklärt, dass er darüber nicht mehr reden möchte, ein bisschen so wie Sie… Hoffentlich schreitet der Papst weiter voran, und zwar gleich am Anfang. Wenn er jetzt, beim Einstieg in den Vatikan, keine klare Haltung einnimmt, dann wird er von der Kurie verschlungen.

Und die Wahl des Namens Franziskus?

Bis jetzt sind das Worte. Der springende Punkt ist für mich, ob er die Kurie auswechselt. Das wird schwierig, sie selbst sagen, die Päpste kommen und gehen, aber die Kurie bleibt. Das ist seit den Zeiten Luthers so. Die letzten fünf Päpste haben die Kurie verändern wollen und sie sind gescheitert, sie waren nicht mutig genug. Er könnte die Propagandapläne des derzeitigen paraguayischen Präsidenten durchkreuzen und verhindern, dass ihre  Begegnung fotografiert wird.

(Das Interview fand am 18. März in Pa’í Olivas Ausbildungszentrum Mil Solidarios im Armenviertel Bañado Sur in Asunción statt. Tags darauf schüttelte Papst Franziskus dem paraguayischen De-facto Staatschef Frederico Franco vor Fotografen die Hand.)

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